Authentizität: was es bedeutet, authentisch zu sein

Authentizität liegt im Trend. Überall ist zu hören und zu lesen, wie erstrebenswert es ist, authentisch zu sein. Wer zu sich, seinen Werten und Zielen steht, wird häufig eher von anderen respektiert. Authentizität kann Türen öffnen, aber ist sie auch immer und in jeder Lebenslage etwas Positives? Hier erfahren Sie, was Authentizität eigentlich bedeutet, ob es überhaupt möglich ist, sich immer authentisch zu verhalten und wie Sie selbst authentischer sein können.

Ein Mann schaut in den Spiegel und denkt über seine Authentizität nach

Was bedeutet Authentizität?

Bevor es darum gehen kann, ob Authentizität immer positiv ist und wie man selbst authentischer sein kann, müssen wir erstmal klären, was Authentizität überhaupt bedeutet. Wann ist jemand authentisch? Die Definition von Authentizität ergibt sich aus der Wortherkunft aus dem Griechischen und Lateinischen. Das griechische Wort „authentikós“ bedeutet so viel wie „echt“, das lateinische Wort „authenticus“ lässt sich mit „echt“, „original“, „verbürgt“ oder „zuverlässig“ übersetzen.

Eine Person ist authentisch und damit echt, wenn sie sich nicht verstellt. Sie ist ganz sie selbst; was man sieht und von außen wahrnehmen kann, entspricht tatsächlich der Realität. Authentische Personen verhalten sich so, wie es ihrer Persönlichkeit, ihren Werten und Vorstellungen entspricht – und zwar auch in Situationen, in denen sie damit auf Widerstand stoßen könnten. Wer sich authentisch verhält, strahlt häufig Selbstvertrauen aus und lässt sich nicht verbiegen, nur weil das gerade bequemer wäre.

Für Authentizität gibt es Synonyme wie

  • Echtheit
  • Glaubwürdigkeit
  • Unverfälschtheit
  • Verlässlichkeit
  • Integrität

Auch bei Sachen kann von Authentizität die Rede sein: Spricht man davon, dass die Authentizität eines historischen Dokuments nachgewiesen wurde, ist klar, dass es sich nicht um eine Fälschung, sondern ein Original handelt. Wird in einem Museum eine Szene aus dem dörflichen Leben aus dem 18. Jahrhundert nachgestellt, kann auch das authentisch – und damit realistisch und historisch zutreffend – sein.

Warum sich viele Menschen nicht (immer) authentisch verhalten

Viele Menschen messen Authentizität eine große Bedeutung bei. Gleichzeitig sind viele Menschen im Alltag nicht immer authentisch. Sie schlüpfen – bewusst oder unbewusst – in verschiedene Rollen. Im Büro sind sie etwa der emsige, zielstrebige Typ, bei einem Freund sind sie bedacht und vernünftig, bei einem anderen gleichen sie sich an dessen extrovertierte, etwas lautere Art an. Ob gewollt oder nicht: Wir passen uns den verschiedenen Menschen, mit denen wir in Kontakt treten, zumindest ein Stück weit an. Die Beziehung ist dadurch harmonischer, aber die Authentizität kann auf der Strecke bleiben.

Von Authentizität ist in der omnipräsenten Social Media kaum etwas zu spüren. Im Gegenteil: Viele User stellen sich dort so dar, wie sie von anderen wahrgenommen werden möchten. Es werden nur die Rosinen des Alltags herausgepickt, der weniger glamouröse Rest fällt unter den Tisch. Auch die Kommunikation in sozialen Netzwerken lässt Authentizität häufig vermissen; übertriebene Freundlichkeit prägt viele Kommentare und Reaktionen.

Wenn Menschen sich nicht authentisch verhalten, geschieht das oft unbewusst. Mit dem eigenen Verhalten kann man beeinflussen, wie andere einen wahrnehmen. Viele Menschen möchten allen gefallen, weil sie aus der positiven Rückmeldung anderer einen Hinweis darauf ableiten, wie viel sie wert sind. Weil der Selbstwert vieler Menschen davon abhängt, wie andere auf sie reagieren, verhalten sie sich instinktiv so, dass diese Reaktion positiv ausfällt.

Wird Authentizität überschätzt? Was dafür und dagegen spricht

Authentizität – das klingt zunächst einmal gut. Dass es sich um ein wahres Trendwort handelt, scheint zu bestätigen, dass es immer positiv ist, authentisch zu sein. Aber ist das wirklich der Fall – oder wird Authentizität überschätzt? Die folgenden Aspekte sprechen dafür und dagegen.

Warum Authentizität auch hinderlich sein kann

Dafür, dass Authentizität überschätzt wird, spricht, dass ein authentisches Verhalten längst nicht immer machbar oder sinnvoll ist. Beispiele gefällig?

  • Im beruflichen Umfeld ist Authentizität nur bedingt nützlich. Man sollte sich etwa nicht anmerken lassen, dass man den Chef nicht mag. Auch im Kontakt mit Kunden und Geschäftspartnern wäre ein durchweg authentisches Verhalten nicht immer angebracht. Ein Call-Center-Mitarbeiter darf etwa nicht heraushängen lassen, dass er von aufgebrachten Anrufern genervt ist. Er repräsentiert schließlich sein Unternehmen und muss dafür sorgen, dass die Kunden diesem gegenüber positiv eingestellt sind.
  • Lehrer, die bestimmte Kinder nicht mögen, können sich das nicht anmerken lassen. Das würde sie unprofessionell erscheinen lassen und könnte die Kinder verunsichern. Ein hundertprozentig authentisches Verhalten ist damit nicht wünschenswert.
  • Von Politikern wünschen sich viele Menschen, dass sie authentisch auftreten. Aber: Sie müssen auch verhandeln können und gegensätzliche Interessen durch Kompromisse vereinen. Wenn jeder stur auf den eigenen Positionen verharrt, geht das nicht. Zugleich zeigt sich durch zahlreiche Shitstorms regelmäßig, dass es doch nicht so erwünscht ist, wenn ein Politiker seine ehrliche Meinung sagt. Nach „falschen“ Aussagen, die oft bei näherer Betrachtung gar nicht so gewagt waren oder die aus dem Kontext gerissen wurden, gibt es häufig einen Aufschrei.
  • Auch bei Bewerbungen ist Authentizität gefragt – jedenfalls aus Sicht von Unternehmen. Das ist aber häufig für Bewerber gar nicht in letzter Konsequenz machbar. Wer sich etwa für einen Job bewirbt, von dem er gar nicht sicher ist, wie sehr er ihn will, muss trotzdem suggerieren, dass es sich dabei um den Traumjob beim Wunsch-Arbeitgeber handelt. Würde er wenig begeistert klingen, wäre er wohl sofort aus dem Rennen.
  • Auch privat kann hundertprozentige Authentizität schwierig sein und unerwünschte negative Folgen haben. Wer etwa ein Kind hat, ist von diesem sicherlich hin und wieder genervt, besonders, wenn es gerade ohnehin stressig ist. Das sollte man aber nicht zu sehr raushängen lassen. Einerseits spielen oft mehr Faktoren in die eigenen Gefühle hinein als nur das Verhalten des Kindes, weshalb eine offen genervte Reaktion oft nicht gerechtfertigt wäre. Außerdem könnte eine harsche Reaktion die Beziehung zum Kind beschädigen. Das gilt ebenso im Umgang mit dem Partner, der Familie und Freunden.

Wie authentisch kann man wirklich sein?

Im beruflichen wie privaten Alltag sind Kompromisse und harmonische Beziehungen wichtig. Manchmal sind sie wichtiger als ein authentisches Verhalten in letzter Konsequenz. Dass man anderer Meinung ist, muss man dann nicht immer offen kundtun. Nur, weil man mit seiner abweichenden Einschätzung hinterm Berg hält, heißt das allerdings nicht, dass man nicht mehr authentisch ist.

Hinter dem Streben nach Authentizität kann sich das Ziel verbergen, im Ansehen anderer zu steigen. Viele Menschen, die als besonders authentisch wahrgenommen werden, haben ihre Authentizität kultiviert und nehmen letztlich doch wieder eine Rolle ein. Gleichzeitig kann Authentizität egoistisches Verhalten bestärken, frei nach dem Motto: „Ich mache mein Ding, egal, was andere sagen“. Ob das in unserer hyperindividuellen Gesellschaft wirklich wünschenswert ist, sei dahingestellt. Authentizität kann dann die Rechtfertigung für ein schädigendes oder verletzendes Verhalten sein.

Fraglich ist letztlich auch, wie authentisch jemand überhaupt sein kann. Schließlich werden wir alle von klein auf von unserer Umwelt geprägt. Die Menschen um uns herum, die Gesellschaft, kulturelle und soziale Normen: Mit all dem wachsen wir auf, und es gibt uns den Rahmen für unser eigenes Verhalten vor. Sich so zu verhalten, dass man komplett unabhängig von äußeren Einflüssen ist, ist deshalb schwierig.

Authentizität als positive Eigenschaft

Andererseits spricht auch einiges für Authentizität und damit auch das Streben danach. Es ist typisch für unsere Zeit, dass uns an jeder Ecke vermittelt wird, dass wir uns selbst optimieren müssten. Unrealistische Vergleiche mit anderen, wie sie insbesondere über soziale Netzwerke permanent stattfinden, tragen für viele Menschen zu dem Eindruck bei, sie seien nicht gut genug und müssten sich verändern.

Wer authentisch ist, steht zu sich – er kennt seine Stärken, aber auch seine Schwachstellen und Fehler. Er weiß, dass beides zu seiner Persönlichkeit dazugehört, und dass andere Menschen ebenso Stärken und Schwächen haben. Wer sich nicht in erster Linie verändern möchte, sondern vielmehr daran arbeitet, sich so zu akzeptieren, wie er ist, kann damit Unsicherheit bekämpfen. Zugleich tritt er dem Druck und Stress entgegen, der durch das ständige Streben nach Optimierung hervorgerufen werden kann.

Menschen, die authentisch sind, sind häufig zufriedener. Sie machen ihr Selbstwertgefühl nicht davon abhängig, was andere über sie denken. Das ist befreiend und wirkt Selbstzweifeln und Unzufriedenheit mit sich selbst entgegen. Zugleich erreichen authentische Menschen, denen die Meinung anderer weniger wichtig ist, oft genau das, was sich viele wünschen: Sie werden eher von anderen respektiert, gerade weil sie zu sich stehen und unbeirrt ihren Weg gehen. Das kann ihnen im Privatleben ebenso helfen wie im Beruf, wo es die Karriere befördern kann.

Wie bleibt man authentisch?

Wie ist es möglich, authentisch zu leben? Wie kann man dem Druck, sich in bestimmten Situationen zu verbiegen, widerstehen? In erster Linie ist wichtig, dass Sie erkennen, wer Sie tatsächlich sind. Welche Werte haben Sie, was sind Ihre Ziele? Bei vielen Menschen stimmt das Selbstbild bei näherer Betrachtung nur zum Teil mit der Realität überein. Ein Beispiel: Oft glauben wir, bestimmte Ziele zu haben, weil sie tatsächlich unsere ureigenen Ziele sind. Es kann aber genauso gut sein, dass man in Wahrheit doch nur eine Rolle besetzen möchte, Erwartungen erfüllen oder anderen gefallen.

Im zweiten Schritt zu mehr Authentizität kommt es darauf an, sich so zu akzeptieren, wie man ist. Sie sollten Ihre Stärken ebenso klar sehen wie Ihre Schwächen. Je eher Sie Frieden mit sich schließen, desto selbstbewusster können Sie auch nach außen auftreten. Authentizität zu leben bedeutet, sich nicht zu verstellen, sondern dazu zu stehen, wer man ist und welche Ansichten man hat.

Akzeptieren Sie, dass Sie nie allen gefallen werden

Wenn Sie sich authentisch verhalten möchten, müssen Sie in Kauf nehmen, anzuecken und nicht allen zu gefallen. Machen Sie sich dabei klar, dass kein Mensch allen anderen Menschen gefällt. Selbst jemand, der absolut auf Harmonie bedacht ist und sich zurücknimmt, um nichts falsch zu machen, kann von anderen abgelehnt werden. Sie haben ohnehin nur begrenzt in der Hand, was andere über Sie denken. Nehmen Sie das hin und hören Sie auf, nach möglichst großer Beliebtheit zu streben.

Authentizität bedeutet nicht, andere mit den eigenen Meinungen zu überzeugen. Akzeptieren Sie, dass auch andere sich authentisch verhalten können und dürfen. Authentizität bedeutet ebenso wenig, dass man sich nicht verändern darf. Menschen ändern sich. Meinungen ändern sich. Das ist keine Schande und steht nicht im Widerspruch zu einem authentischen Verhalten. Im Gegenteil: Authentisch bleibt nur, wer auch dazu steht, wenn er mal die Richtung ändert.

Die ersten Schritte hin zu einem authentischeren Leben können schwer sein. Je öfter Sie eine abweichende Meinung äußern, offen zeigen, wer Sie sind und anders handeln, als andere es (vermeintlich) von Ihnen erwarten, desto leichter wird es Ihnen mit der Zeit fallen, sich treu zu bleiben.

Bildnachweis: photo stock india / Shutterstock.com

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