Gewerkschaften: Wozu werden sie eigentlich gebraucht?

Dass Gewerkschaften sich für die Interessen von Arbeitnehmern einsetzen wissen wohl die meisten Menschen. Welche Aufgaben sie jedoch genau haben, ist vielen nicht klar. Weshalb es Gewerkschaften gibt, wie Sie als Arbeitnehmer davon profitieren können und welches die bekanntesten Gewerkschaften sind, erfahren Sie in diesem Artikel.

Mitglieder von Verdi auf der Straße, wozu gibt es Gewerkschaften?

Was sind Gewerkschaften?

Gewerkschaften sind freiwillige Vereinigungen von Arbeitnehmern zur Vertretung ihrer Interessen gegenüber Arbeitgebern. Die Bildung von Gewerkschaften ist geschützt durch das Grundgesetz. In Artikel 9, Absatz 3 des Grundgesetzes heißt es: „Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet.“ Das ist auch als Koalitionsfreiheit bekannt. Weiter heißt es: „Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig.“ Das bedeutet, dass es nicht erlaubt ist, Gewerkschaften in ihrer Gründung oder der Ausübung ihrer Tätigkeit zu behindern.

An Gewerkschaften werden praktisch einige grundlegende Anforderungen gestellt. So muss die Gründung nicht nur freiwillig erfolgen, der Zusammenschluss muss auch auf eine gewisse Dauer angelegt sein. Aus der Satzung einer Gewerkschaft sollte als Zweck hervorgehen, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen der Beschäftigten zu fördern und zu wahren. Wichtig ist auch, dass Gewerkschaften eine demokratische Struktur aufweisen. Dazu gehören zum Beispiel regelmäßige Wahlen und eine Mitbestimmung der Mitglieder.

Gewerkschaften sollten unabhängig sein

Gewerkschaften sollten unabhängig von Dritten sein, beispielsweise vom Staat, von Parteien oder den Kirchen. Arbeitgeber dürfen nicht Mitglied sein oder selbst eine Gewerkschaft gründen, weil in diesem Fall nicht die Interessen der Arbeitnehmer, sondern der Arbeitgeber gewerkschaftlich vertreten würden. Nicht zuletzt müssen Gewerkschaften tariffähig sein. Das bedeutet unter anderem, dass sie eine gewisse Verhandlungsmacht haben müssen, um etwas für Arbeitnehmer bewegen zu können. Sie müssen gewillt sein, sich durchzusetzen, und bereit sein, notfalls zu Streiks aufzurufen.

Gewerkschaften finanzieren sich über Mitgliedsbeiträge. Wer in eine Gewerkschaft eintritt, muss regelmäßige Beiträge leisten. Die Höhe des Mitgliedsbeitrags ist meist variabel und in der Regel abhängig vom Gehalt.

Welche Gewerkschaften gibt es in Deutschland?

Traditionell sind Gewerkschaften in Deutschland meist auf bestimmte Berufe beziehungsweise Branchen spezialisiert. Einige der einflussreichsten Gewerkschaften gehören dem Deutschen Gewerkschaftsbund DGB an. Der DGB zählt zu den größten Gewerkschaftsbünden der Welt; er vertritt acht Mitgliedsgewerkschaften mit insgesamt rund sechs Millionen Mitgliedern. Durch die Mitgliedsgewerkschaften deckt der DGB alle Branchen und Wirtschaftszweige in Deutschland ab.

Zum DGB gehört etwa die IG Metall, die größte Einzelgewerkschaft in Deutschland. Die im Jahr 1949 gegründete IG Metall hat gegenwärtig rund 2,2 Millionen Mitglieder und vertritt Beschäftigte unter anderem in der Metall- und Elektroindustrie, der Stahlindustrie, Holzverarbeitung, des Kfz-Handwerks und des Elektrohandwerks.

Eine weitere einflussreiche Gewerkschaft unter dem Dach des DGB ist die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft, besser bekannt unter der Abkürzung ver.di. Ver.di wurde im Jahr 2001 gegründet und verzeichnet gegenwärtig rund 1,9 Millionen Mitglieder. Die Gewerkschaft richtet sich insbesondere an Arbeitnehmer im Dienstleistungsbereich und der dienstleistungsnahen Industrie, etwa im Gesundheitswesen, öffentlichen Dienst und den Bereichen Bildung, Medien und Kultur.

Grad der gewerkschaftlichen Organisation: Große Unterschiede zwischen Branchen und Berufen

Zum DGB gehören außerdem die Gewerkschaften IG Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU), IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) und die Gewerkschaft der Polizei (GdP).

Neben dem Deutschen Gewerkschaftsbund gibt es mit dem dbb Beamtenbund und Tarifunion einen weiteren Dachverband für Gewerkschaften. Der dbb richtet sich insbesondere an Beschäftigte im öffentlichen Dienst und im privaten Dienstleistungssektor. Ihm gehören 40 Mitgliedsgewerkschaften mit insgesamt 1,3 Millionen Mitgliedern an. Eine bekannte Gewerkschaft, die dem dbb angehört, ist die GDL, die Gewerkschaft der Lokführer. Sie hat etwa 37.000 Mitglieder und ist in der Öffentlichkeit vor allem für ihre häufigen Streiks bekannt.

Der kleinste Gewerkschafts-Dachverband ist der CGB, der Christliche Gewerkschaftsbund Deutschland. Wie der Name schon sagt ist dieser Dachverband durch seine christliche Ausrichtung geprägt. Praktisch hat er eine relativ geringe Relevanz und besitzt kaum Streikfähigkeit.

Der Grad der gewerkschaftlichen Organisation innerhalb der verschiedenen Berufe und Branchen ist teilweise sehr unterschiedlich. Während etwa Beschäftigte in der Metall- und Elektroindustrie überdurchschnittlich gut organisiert sind, ist das in der Kultur, im Einzelhandel und bei hochqualifizierten Beschäftigten weniger der Fall.

Zweck: Warum sich Gewerkschaften gegründet haben

Die ersten Gewerkschaften in Deutschland haben sich zur Zeit der industriellen Revolution gegründet. Zu Arbeitnehmeraufständen war es zwar schon vor der Industrialisierung immer mal wieder gekommen, um gegen die herrschenden Arbeitsbedingungen zu protestieren. Während der industriellen Revolution gründeten sich jedoch mehr und mehr Großunternehmen, in denen der einzelne Arbeiter kaum Gewicht hatte. Die Gewerkschaften verstanden sich als Gegenmacht zu den Arbeitgebern.

Damals wie heute war und ist ein einzelner Beschäftigter verglichen mit seinem Arbeitgeber in einer schwachen Position. Naturgemäß herrscht in einem Arbeitsverhältnis ein großes Machtungleichgewicht. Macht sich ein Arbeitnehmer nun für seine Rechte stark, droht ihm womöglich die Kündigung, weil er vom Arbeitgeber als unbequem empfunden wird. Pocht ein Bewerber im Vorstellungsgespräch zu sehr auf seinen Forderungen, wird er wahrscheinlich gar nicht erst eingestellt – der nächste, unproblematische Bewerber steht schließlich schon bereit.

Die meisten Arbeitgeber würden Arbeitsverträge und damit Arbeitsbedingungen wohl immer zu ihren Gunsten gestalten, wenn sie es könnten. Für Beschäftigte kann das niedrige Löhne, einen geringen Schutz vor Kündigungen, schlechtere Bedingungen und insgesamt weniger Rechte bedeuten. Genau das wollen die Gewerkschaften verhindern. Sie haben dank ihrer Mitglieder die Macht, Arbeitnehmer zu stärken und sich in ihrem Namen für bessere Konditionen einzusetzen.

Die wichtigsten Aufgaben von Gewerkschaften

Gewerkschaften übernehmen verschiedenste Aufgaben. Immer dreht sich ihre Arbeit darum, die Rechte von Arbeitnehmern zu stärken und in ihrem Sinne für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen. In erster Linie geschieht das über Tarifverhandlungen. Tarifverträge auszuhandeln und abzuschließen gehört zu den Kernaufgaben von Gewerkschaften. Tarifverträge können zwischen Gewerkschaften und einzelnen Arbeitgebern oder Arbeitgeberverbänden geschlossen werden. Entsprechend unterschiedlich ist ihr Geltungsbereich – sie können für ein Unternehmen oder für eine ganze Branche gelten.

Die verschiedenen Gewerkschaften handeln in Tarifverhandlungen die Rahmenbedingungen für Beschäftigungsverhältnisse aus. Dabei ist ihr Ziel, die Stellung der Arbeitnehmer zu stärken und wirtschaftliche und soziale Verbesserungen zu erreichen. Das kann etwa höhere Löhne oder mehr Urlaubstage betreffen, begrenzte Arbeitszeiten und Überstunden, den Teilzeitanspruch der Beschäftigten, ihre Mitbestimmungsrechte bei betrieblichen Entscheidungen oder den Schutz vor Kündigungen. Auch das Recht auf zusätzliche Qualifikationen, soziale Mindeststandards oder ein flexibler Einstieg in den Ruhestand sind Dinge, mit denen Gewerkschaften sich standardmäßig befassen.

Um Arbeitgeber zu einem Entgegenkommen zu bewegen, brauchen Gewerkschaften Druckmittel. Einerseits spielt hierbei die Zahl der Mitglieder eine Rolle, in deren Namen die jeweilige Gewerkschaft agiert. Andererseits haben Gewerkschaften unter bestimmten Voraussetzungen das Recht, die Beschäftigten zum Streik aufzurufen. Streiks sind das letzte Mittel im Arbeitskampf; die Möglichkeit zu Streiken ist im Grundgesetz verankert. Allein die theoretische Möglichkeit eines Streiks kann ausreichen, um Arbeitgeber(verbände) dazu zu bringen, sich auf die Forderungen einer Gewerkschaft in Tarifverhandlungen einzulassen.

Gewerkschaften: Nützlich für Arbeitnehmer, aber weniger Mitglieder

Dass es Gewerkschaften gibt, die sich für ihre Belange einsetzen, ist für Arbeitnehmer sehr nützlich. Schließlich können die Gewerkschaften mit ihrer Macht oft wesentlich besser zu einer positiven Veränderung beitragen als es für die Beschäftigten alleine der Fall wäre. Dort, wo Gewerkschaften viel Macht haben und wo Tarifverträge gelten, werden Beschäftigte oft besser bezahlt, sind vor Lohndumping besser geschützt – etwa durch Branchenmindestlöhne –, haben mehr Urlaubstage und sind insgesamt in einer verbesserten Stellung gegenüber ihren Arbeitgebern.

Von der Arbeit von Gewerkschaften profitieren in vielen Fällen auch Arbeitnehmer, die nicht Mitglied einer Gewerkschaft sind. Tarifverträge gelten schließlich nicht nur für Gewerkschaftsmitglieder, sondern für die Beschäftigten in bestimmten Bereichen. Für Arbeitnehmer gibt es jedoch trotzdem gute Argumente dafür, Mitglied einer Gewerkschaft zu werden. Wer einer Gewerkschaft angehört, braucht keine Rechtschutzversicherung. Gibt es juristische Probleme, hilft die Gewerkschaft – etwa bei Kündigungen, Abfindungen oder ähnlichen Problemen mit Arbeitgebern. Auch in Gerichtsverfahren stellen die Gewerkschaften oft Anwälte für ihre Mitglieder. Zudem bieten Gewerkschaften Seminare und andere Weiterbildungsmöglichkeiten an, zum Teil sogar kostenlos.

Nichtsdestotrotz verzeichnen viele Gewerkschaften schon seit Jahren weniger Mitglieder, ähnlich wie Parteien. Nicht einmal jeder fünfte Arbeitnehmer (18,5 Prozent) in Deutschland ist noch in einer Gewerkschaft. Das geht aus der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften, kurz ALLBUS, im Jahr 2016 hervor. Zum Vergleich: Nach der Wiedervereinigung Anfang der 1990er Jahre waren es noch mehr als 30 Prozent gewesen.

Weniger Mitglieder bedeuten weniger Macht für Gewerkschaften

Besonders in Ostdeutschland ist die Zahl der gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer mit 13,4 Prozent gering. Auch Frauen und jüngere Beschäftigte sind vergleichsweise selten Mitglied einer Gewerkschaft. Dafür sind viele Gewerkschaftsmitglieder Senioren, die schon aus dem Beruf ausgeschieden sind.

Der relativ geringe Grad der gewerkschaftlichen Organisation unter Beschäftigten hat offenbar nichts damit zu tun, dass Arbeitnehmer die Arbeit von Gewerkschaften nicht wertschätzen würden. In der ALLBUS-Umfrage gaben fast 70 Prozent der Befragten an, dass starke Gewerkschaften für Arbeitnehmer wichtig seien.

Womöglich haben sich viele Arbeitnehmer daran gewöhnt, dass Gewerkschaften sich für ihre Interessen einsetzen, und betrachten deren Arbeit als selbstverständlich. Nicht zuletzt profitieren auch Nicht-Mitglieder von Gewerkschaften, wenn diese Tarifverhandlungen führen – wozu also einer Gewerkschaft beitreten? Die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften in Tarifverhandlungen hängt aber ganz entscheidend davon ab, wie viele Mitglieder sie haben. Je mehr Mitglieder, desto mächtiger die Gewerkschaft. Auch Warnstreiks treffen Arbeitgeber härter, wenn die Gewerkschaft, die sie ausruft, viele Arbeitnehmer hinter sich weiß. Der (potenzielle) Schaden eines Streiks ist dann umso größer – ebenso wie die Bereitschaft vieler Arbeitgeber zu Kompromissen.

Bildnachweis: riekephotos / Shutterstock.com

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